Als Seelsorger im Hospiz: ein guter Ort zum Leben – bis zum letzten Tag. Carsten Unbehaun berichtet

von Ev. Kirchenkreis Lichtenberg-Oberspree

Carsten Unbehaun, Evangelischer Seelsorger im Hospiz Köpenick, vor dem Gebäude in der Salvador-Allende-Straße. Foto: Jürgen Bosenius / kklios.de

Im Mai 2018 ist Carsten Unbehaun als Evangelischer Seelsorger im Hospiz Köpenick der DRK Kliniken Berlin von Superintendent Hans-Georg Furian und Prof. Dr. Stefan Kahl eingeführt worden. Nun, ein gutes halbes Jahr später, berichtet er über seine Arbeit, seine Erfahrungen und Begegnungen vor Ort.

Ein Hospiz – sagt das Wort – ist eine Herberge. Ein Ort, an dem Gäste Schutz finden. Ein Ort auf Zeit. Das Zuhause kann er nicht ersetzen. Aber manchmal ist die Herberge besser als zu Hause, weil man Gast sein darf. Man wird eingeladen, sich wie zu Hause zu fühlen - und dabei wird man umsorgt und muss sich um nichts mehr kümmern.

Um nichts als um sich selbst. Wenn es ans Sterben geht, ist das auch genug.

Seit Mai arbeite ich als Seelsorger im Hospiz Köpenick. Gestern ist Frau B. als Gast bei uns eingezogen. Vorher war sie Patientin im Krankenhaus. Nierenkrebs mit Metastasen, Chemotherapie und OP, eine Odyssee durch Arztpraxen und Kliniken, Zeiten zu Hause mit aufopferungsvollen Angehörigen und Pflegedienst.

Und dann hieß es: „Änderung des Therapieziels“. Nicht mehr Gesundung, sondern Sterben ohne unnötiges Leiden. Heute sagt mir Frau. B., dass sie das noch gar nicht glauben kann: Dass hier in diesem Haus kein Wunsch stört. Dass sie mit Ernst gefragt wird nach ihren Wünschen, den großen wie den kleinen. Ihr großer Wunsch für ihre Stunden, Tage oder Wochen hier im Hospiz – niemand weiß das genau - ist „zur Ruhe kommen“. Und ihren kleinen Wunsch heute Mittag haben ihr die Schwestern „von den Augen abgelesen“: ein Eis-Stick aus gefrorenem Saft zum Lutschen, denn Essen geht kaum noch und selbst Trinken ist beschwerlich. Herrlich! Die Eis-Sticks haben die Schwestern selber gemacht. Ja, denke ich, Frau B. ist dabei, zu verstehen, was es heißt, hier Gast zu sein. Sich wie zu Hause fühlen. Aber keinen Druck mehr zu haben. Sich fallen zu lassen. Eben: zur Ruhe zu kommen. Sich zu überlassen an den Fluss des Lebens, das jetzt weiterfließt – aus diesem Leben hinaus.

Die Hospizbewegung wurde vor 50 Jahren in England von Cicely Saunders und ihren Mitstreiterinnen vorwärts gebracht. Vor 20 Jahren wurde das erste Hospiz in Berlin gegründet. Im April 2017 eröffneten die DRK-Kliniken Berlin in Köpenick ein Hospiz, für das ein schöner, pavillonartiger, holzverkleideter Neubau für 16 Gäste im Park hinter dem Krankenhaus gebaut wurde.

Wesentliches Merkmal der Hospizbewegung ist das Zusammenwirken von ehrenamtlichen Begleitern, von ärztlichen und pflegerischen Fachkräften, von Mitarbeitenden in der Sozialarbeit und der Seelsorge.

Im Mittelpunkt steht der Mensch, der seinen Weg als Sterbender geht. Die Angehörigen können eine wichtige Rolle spielen – wenn sie es wollen. Aber sie sind auch entlastet von Vielem, was überfordert. Dasein und Trauern ist schon genug „Arbeit“ für sie.

Heute kommt Herr F. ins Hospiz. Er macht einen Kurs als ehrenamtlicher Sterbebegleiter. „Man lernt ja so viel übers Leben, wenn man sich Gedanken übers Sterben macht“, sagt er. Wer sucht sich die Begleitung von Sterbenden als Freizeitbeschäftigung aus? „Das Sterben ist ja nicht der Anfang“, antwortet Herr F. „Der Anfang ist oft das pralle Leben. Die Krankheit ist schon eingezeichnet, aber da ist noch so viel Leben. Lebendigkeit. Nachdenklichkeit. Auch Traurigkeit. Und viel Freude. Freude und Dankbarkeit. Und alles ganz nah an der Oberfläche. Hier spielt keiner mehr was vor. Oder kaum. Wir reden übers Wetter, über die Kinder, über die Enkel besonders gerne, schauen Fotos an. Ich höre von Berufen, von denen ich bisher nicht die geringste Ahnung hatte. Nur manchmal geht’s direkt über das Sterben oder den Tod. Aber jeder weiß natürlich Bescheid. Das macht was ... Ich habe hier so viele, so verschiedene Menschen wirklich kennen gelernt.“ Leise fügt er an: „... lieben gelernt.“

Carsten Unbehaun

(Anm.d.Red: Wir danken dem Autor Carsten Unbehaun und der Redaktion des Gemeindebriefs der Ev. Kirchengemeinde Berlin-Hellersdorf, diesen Text hier veröffentlichen zu dürfen. Dort erschien er in der Ausgabe November 2018–Januar 2019, S. 12f.)

Weitere Informationen über das Hospiz Köpenick der DRK Kliniken Berlin finden Sie unter www.hospiz-koepenick.de

Das Hospiz Köpenick der DRK Kliniken Berlin in der Salvador-Allende-Straße. Foto: Jürgen Bosenius / kklios.deEine Kerze im Hospiz Köpenick erinnert an einen Verstorbenen. Foto: Jürgen Bosenius / kklios.deCarsten Unbehaun liest im Erinnerungsbuch, mit dem der Gäste des Hauses gedacht wird. Foto: Jürgen Bosenius / kklios.de

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