Das akademische Viertel, Leben und Werk Dietrich Bonhoeffers und ein Lob für „Friday for Future“ – Altbischof Wolfgang Huber eröffnet den „2. Lichtenberger Dialog“

von Jürgen Bosenius

Altbischof Wolfgang Huber und Superintendent Hans-Georg Furian beim Auftakt des 2. Lichtenberger Dialogs im Festsaal des Ev. Krankenhauses Königin Elisabeth Herzberge (KEH) am 21. Mai 2019. Foto: Jürgen Bosenius / kklios.de

Das akademische Viertel, Leben und Werk Dietrich Bonhoeffers und ein Lob für „Friday for Future“ – Altbischof Wolfgang Huber eröffnet den „2. Lichtenberger Dialog“

Wer am 21. Mai 2019 um 18 Uhr bei hochsommerlichen 30 Grad Celsius im Festsaal des Ev. Krankenhauses Königin Elisabeth Herzberge (KEH) auf den Hauptreferenten des „2. Lichtenberger Dialogs“ wartete, musste sich ein bisschen gedulden. Um 18.10 Uhr konnte Hans-Georg Furian, Superintendent des Ev. Kirchenkreises Lichtenberg-Oberspree, den Besuchern nur mitteilen: „Wir erreichen Prof. Huber nicht.“ Zehn Minuten später sah die Welt dann schon wieder ganz anders aus: Auf dem Podium saß mittlerweile ein gut gelaunter Berliner Altbischof – Freude und Aufatmen bei Gästen und Veranstalter gleichermaßen. Der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschland entschuldigte sich – er hatte kein Handy bei sich gehabt: „Als Fan der Öffentlichen Verkehrsmittel bin ich ausgerechnet heute aus dem Südwesten Berlins mit dem eigenen PKW zu Ihnen gefahren und leider auch gleich in mehr Staus geraten, als mir lieb sein konnte.“ Und ergänzte, er nehme das akademische Viertel normalerweise nicht in Anspruch.

Der verspätete Beginn tat der Auftaktveranstaltung des „2. Lichtenberger Dialogs“ jedenfalls keinen Abbruch. Wolfgang Huber hatte den Abend gemeinsam mit Hans-Georg Furian so vorbereitet, dass sich Lesungen ausgewählter Passagen seiner neuen Biografie über Dietrich Bonhoeffer (Wolfgang Huber, Dietrich Bonhoeffer. Auf dem Weg zur Freiheit. Ein Porträt, Verlag C.H.Beck 2019) mit Nachfragen aus dem Publikum abwechselten – eben ein „Lichtenberger Dialog“. Das funktionierte mit den mehr als 50 Gästen sicht- und hörbar gut: Huber las Auszüge über „Erziehung, Bildung und Familie Bonhoeffers“, über „Theologie und Widerstand“ und abschließend zum Bild Bonhoeffers von der Zukunft der Kirche.

 

Altbischof Wolfgang Huber beim Auftakt des 2. Lichtenberger Dialogs im Festsaal des Ev. Krankenhauses Königin Elisabeth Herzberge (KEH) am 21. Mai 2019. Foto: Jürgen Bosenius / kklios.deAltbischof Wolfgang Huber und Superintendent Hans-Georg Furian beim Auftakt des 2. Lichtenberger Dialogs im Festsaal des Ev. Krankenhauses Königin Elisabeth Herzberge (KEH) am 21. Mai 2019. Foto: Jürgen Bosenius / kklios.de

 

 

 

 

 

 

 

 

Keine Nachfrage ließ Huber unbeantwortet: Welche Vorbilder hatte Bonhoeffer, welche Rolle spielte die Musik in seinem Leben? Besonders eindrücklich war seine Antwort auf die Frage, ob Bonhoeffer vor dem Hintergrund seines Bildungsweges elitär gewesen sei. Huber erzählte dazu frei eine Szene aus dem Buch (hier im Original wiedergegeben, S.16 f.):

Bereits zum Wintersemester 1931/32 übertrug das Konsistorium (so heißt die leitende kirchliche Verwaltungsbehörde) der Mark Brandenburg Bonhoeffer eine Studentenpfarrstelle an der Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg. Kurz darauf erhielt er zusätzlich einen Vertretungsauftrag an der Zionskirche in Berlin-Mitte. Insbesondere sollte er eine Konfirmandengruppe übernehmen. Die Gruppe von siebenundvierzig ungebärdigen Konfirmandenjungen hatte, wie man ihr unverhohlen vorwarf, ihren vorherigen Pfarrer zu Tode geärgert. Hätte sich Bonhoeffer dieser Aufgabe verweigert, wäre die Konfirmation möglicherweise geplatzt. Als er den Konfirmanden zum ersten Mal begegnete, versuchten sie ihn, mit „Bon, Bon, Bon“ niederzubrüllen. Er ertrug es schweigend, bis das laute Rufen dadurch langweilig wurde. Dann erzählte er den Jugendlichen von Harlem. Sie wurden still und begannen zu fragen. Er mietete sich ein schlichtes Zimmer in der Nähe der Kirche, über einer Bäckerei in der Oderberger Straße 61. Seine Konfirmanden kamen ihn besuchen. Zu Weihnachten beschenkte er sie und erklärte seinen Freunden, warum sie dieses Mal leer ausgingen. Aus den Konfirmandenrebellen wurde eine verschworene Gemeinschaft. Er zog mit ihnen auch ins Berliner Umland. Mit einigen konnte er sogar für ein paar Tage in das elterliche Ferienhaus im Harz fahren. So verschaffte er ihnen Gemeinschaftserlebnisse, die sie zusammenschweißten. Die Konfirmation fand statt.

Hans-Georg Furian wollte zum Schluss von Wolfgang Huber wissen, welche Bedeutung Bonhoeffer heute dem Begriff des Widerstands beimessen würde. Hubers Antwort dazu war überraschend deutlich: Bonhoeffer würde sich vermutlich wünschen, so Huber, dass Kirche in der Gesellschaft Stellung beziehe und Gehör finde. So sei etwa die aktuelle Forderung des EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm, die Kriminalisierung der Seenot-Rettung müsse ein Ende haben, nicht nur nicht in der medialen Öffentlichkeit wahrgenommen worden, sondern auch innerkirchlich ohne Resonanz geblieben. Das Selbstverständnis der Evangelischen Kirche müsse es aber sein, so Huber, in solchen Fragen die eigene Position zu formulieren. So lobte Huber auch ausdrücklich das Engagement junger Menschen für den Klimaschutz, namentlich die „Fridays for Future“-Bewegung.

Dass 90 Minuten nicht ausreichen würden, ein ganzes Buch, geschweige denn ein ganzes Leben vorzustellen, war wohl allen Besuchern klar. Wer das Buch noch nicht gelesen hat, dem sei es empfohlen. Es lohnt sich.

 

Ein Geschenk für Altbischof Wolfgang Huber von Superintendent Hans-Georg Furian beim Auftakt des 2. Lichtenberger Dialogs im Festsaal des Ev. Krankenhauses Königin Elisabeth Herzberge (KEH) am 21. Mai 2019. Foto: Jürgen Bosenius / kklios.deAltbischof Wolfgang Huber nahm sich im Anschluss an die Veranstaltung noch die Zeit, sein Buch zu signieren. Foto: Jürgen Bosenius / kklios.de

 

 

 

 

 

 

 

 

Mit viel Applaus bedacht und mit Zookarten für seine Frau und die gemeinsamen sechs Enkelkinder bedankt und verabschiedet, nahm sich Wolfgang Huber im Anschluss noch die Zeit, sein Buch zu signieren – bevor er sich wieder auf den Weg in den Südwesten Berlins aufmachte.

 

Medienresonanz

 

Der Evangelische Pressedienst (epd) war der Einladung des Kirchenkreises ins KEH nach Lichtenberg erfreulicherweise gefolgt und veröffentlichte im Anschluss an die Veranstaltung folgenden Bericht:

Christen sollten „Fridays for Future“ mehr unterstützen

Wolfgang Huber begrüßt die "Fridays for Future"-Bewegung als "Signal der Hoffnung".

Eine gezielte Regelverletzung wie etwa der begrenzte Unterrichtsboykott gehöre offenbar manchmal dazu, um einem Thema die notwendige Aufmerksamkeit zu verschaffen, sagte Huber am 21. Mai 2019 bei einer Veranstaltung in Berlin.

"Fridays for Future" habe eine aufregende Entwicklung genommen und stelle eine wirksame Einmischung in die Politik dar. Dabei wünschte er sich für die Bewegung auch eine wirkungsvollere Unterstützung durch Christen als bislang, sagte Huber.

Der frühere Ratsvorsitzende der EKD stellte bei einer Veranstaltung des Evangelischen Kirchenkreises Lichtenberg-Oberspree sein Buch "Dietrich Bonhoeffer: Auf dem Weg zur Freiheit. Ein Porträt" vor. Die Lesung eröffnete die Veranstaltungsreihe "2. Lichtenberger Dialog". Sie steht in diesem Jahr unter dem Motto "Grenzen überwinden".

Verengung des Milieus grenzt Menschen aus
Huber warnte in der Diskussion die Kirche auch vor einer "Milieuverengung". Dies sei schädlich für die Kirche und grenze Menschen vom Evangelium aus.

Mit Blick auf Bonhoeffer sagte der Sozialethiker, dieser sei durch sein Elternhaus und Bildungsweg von einem besonderen Verantwortungsgefühl geprägt gewesen, für Andere, "für den Nächsten", einzutreten. Dabei habe Bonhoeffer es als Aufgabe der Kirche gesehen, den Staat an seine Aufgaben zu erinnern und gegebenenfalls auch zu kritisieren, sagte Huber.

Er verwies auf eine Aussage Bonhoeffers vom April 1933, wo dieser unter dem Eindruck der Judenverfolgung die Möglichkeit erwägt, "nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen".

Im kommenden Jahr ist Bonhoeffers 75. Todestag. Er wurde am 9. April 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg bei Regensburg ermordet. Der Theologe und Widerstandskämpfer wurde nur 39 Jahre alt.

(epd)

Ein besonderes Dankeschön gilt Udo Brandes von der Buchhandlung „Blattgold“ der Berliner Stadtmission für den Aufbau und die Betreuung des Büchertisches.

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