Rede von Superintendent Hans-Georg Furian anlässlich der Seebrücke-Demonstration am 20. September 2020

von Ev. Kirchenkreis Lichtenberg-Oberspree

Rede von Superintendent Hans-Georg Furian anlässlich der Seebrücke-Demonstration am 20. September 2020. Foto: privat

Tausende Menschen haben am 20.September 2020 in Berlin für die sofortige Aufnahme von Bewohnern des niedergebrannten Flüchtlingslagers Moria auf Lesbos demonstriert. Ein Bündnis aus Pro Asyl, der Seebrücke Berlin und weiteren Gruppen hatte zu der Demonstration aufgerufen. Die Kundgebung stand unter dem Motto "Es reicht! Wir haben Platz!". Die Menschen versammelten sich an der Urania in Schöneberg, Nähe Wittenbergplatz.

Auf Einladung der Veranstalter hat Superintendent Hans-Georg Furian eine Rede gehalten - hier im Wortlaut wiedergegeben:

Sehr geehrte Damen und Herren,
gut dass wir alle hier sind! Die evangelische Kirche steht hinter unserem gemeinsamen Anliegen.
Mein Name ist Hans-Georg Furian. Ich komme aus Hellersdorf, und bin Superintendent in der evangelischen Kirche.
Natürlich gibt es in unserer Kirche unterschiedliche Meinungen, auch zur Seenotrettung. Aber ich stehe hier für die Beschlusslage in der evangelischen Kirche, und die ist eindeutig: Wir fordern sichere Wege nach Europa! Doch wie sieht es auf Lesbos aus?
„Die Betroffenen sind verzweifelt und die Lage droht in den nächsten Tagen weiter zu eskalieren.“ Das schreibt unsere Pfarrerin Ute Gniewoß, die seit drei Wochen auf der Insel Lesbos ist und gemeinsam mit einem Gemeindemitglied den obdachlosen Geflüchteten Hilfe und Unterstützung zukommen lässt.
Sichere Fluchtwege nach Europa?
An den Außengrenzen Europas und auf dem Mittelmeer zeigt sich das Gegenteil! Das ist ein Hinweis auf den Kapitalismus und auf den strukturellen Rassismus unserer Zeit. Denn in den Regeln des Welthandels setzt sich der alte Kolonialismus in neuer Form fort. Die Abnehmenden der Rohstoffe des Südens und seiner Arbeitskräfte, die hier im Norden, legen den Preis fest. Davon profitieren auch wir.
So schafft jeder von uns einen Teil der Fluchtursachen, um deren Bekämpfung es anschließend geht.
Die – Zitat – „Mutter aller Probleme“ ist nicht die Migration. Ist es unsere Sorge, zu kurz kommen zu können?
Diese Sorge – wie realistisch auch immer – scheint mir der Grund unserer Abschottung zu sein.
Als Christ aber glaube ich: weil sich Gott uns leistet, Menschen, die oft von Sorge beherrscht sind, - weil er sich solche Leute leistet, können wir uns auch mit unserer Sorge auseinandersetzen.
Den Menschen die Sorge zu nehmen, dass es für sie nicht reichen könnte, das ist ein wichtiger Beitrag als evangelische Kirche hier.
Denn: Es ist genug für alle da. Wir haben Platz!
Und die praktische Folge davon: in jedem menschlichen Antlitz tritt uns ein Geschöpf Gottes entgegen. Das gilt über alle Grenzen hinweg! Jedem gilt Nächstenliebe, Solidarität. „Man lässt Menschen nicht ertrinken“. Das ist eine Sünde. Darum unterstützt unsere Kirche auch die Seenotrettung mit einem Beitrag zur Sea watch 4. Wir tun das, weil es die Zuständigen unterlassen. Das ist schlimm genug.
Noch schlimmer ist, dass unser Schiff gerade in Palermo unter fadenscheinigen Gründen festgehalten wird. Wir fordern, dass es sofort auslaufen kann!
Wenn ich von der evangelischen Kirche spreche, die die Seenotrettung unterstützt, so sind das ganz konkrete Menschen, keine anonyme Institution. So haben z.B. Christinnen und Christen im Osten Berlins 10.000 € für den Ankauf der Sea watch 4 zur Verfügung gestellt. Das ist ein starkes Zeichen aus der Mitte unserer Gesellschaft.
Wir fordern sichere Wege nach Europa. Das wäre der wirksamste Beitrag gegen die ungezählten toten, traumatisierten und verletzten Menschen an den Stränden des Mittelmeeres und in den Wüsten Nordafrikas. Darum: sichere Wege nach Europa!
Denn wir leben in einem reichen Land. Natürlich gibt es auch bei uns arme Menschen. Auch ihnen gilt unser Augenmerk. Aber: es gibt kein Ausspielen der einen Armen gegen die anderen. Das bestätigen auch die Kommunen, die Flüchtlinge aufnehmen wollen. Es ist unverzeihlich, dass die Forderung Thüringens und Berlins im Bundesrat abgelehnt worden ist, Geflüchtete aufnehmen zu dürfen, auch ohne Zustimmung des Bundesinnenministeriums. Wir fordern, dass diese Praxis ein Ende hat.
Denn: es reicht. Szenen aus Lagern wie in Moria sind ein Schlag ins Gesicht der Menschlichkeit.
Wir fordern, dass die Lager evakuiert werden und die EU- Staaten die Geflüchteten aufnehmen, und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt! Denn: wir haben Platz!
Haben Sie vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Zurück